CN: Sex, Alkohol(-missbrauch)
Standardausgabe
Ich atmete tief ein genoss die klare Luft. Yuna bot mir eine Zigarette an, zu dieser Uhrzeit war die einfach Versuchung zu groß. Irgendwie ist es ja immer so. Der Genuss der sommernächtlichen Luft wich also dem des Tabalkqualms. Drei Stunden zuvor war die Existenz Yunas ein Fakt, der mir nicht bewusst war. Wir standen vor dem std::cout, einem Technoclub in einer unerwähnenswerten Großstadt. Und ja, ich verkneife mir Kommentare zum Namen. Mag ja auch keiner von den "Du darfst nur Bandshirts tragen, wenn du alle Alben einer Band gehört hast"-Typen sein. Eigentlich gehört Techno auch garnicht zu dem, was mein Spotify Wrapped normalerweise ausfüllt, aber Tinder hatte ich schon lange von meinem iPhone gelöscht.
Yuna war wie eine Verkörperung von genau den Sachen, die ich an einer Frau attraktiv finde. Und diese treiben sich anscheinend vor allem im std::cout rum. Die kurzen dunklen Haare (nicht länger als bis zur Schulter!) passen wunderbar zur runden Kopfform. Und ihre braune Iris. Wow. Ungewöhnlich war ihr Parfüm, was mir aber gefiel, da es eine Süßholznote hatte und der kühlende Wind beförderte diesen Duft, zusammen mit allen anderen Gerüchen der Nacht, in meine Richtung.
Als hätten wir es abgesprochen (was wir nicht taten) gingen wir in Richtung der U-Bahn-Station, um zu mir zu fahren. Ich fing ein belangloses Gespräch an, um meine Aufregung etwas zu überspielen, da sie wirklich unheimlich hübsch war und ich mir außerdem etwas oberflächlich vorkam, nachdem wir die halbe Stunde zuvor schon mehr mit der Sensation unserer aneinanderpressenden Lippen und Körper beschäftigt waren, als mit Tanzen. Und dementsprechend hatten wir uns auch wenig unterhalten.
"Yuna, weißt du, unser tiefgründiges Gespräch hat noch gar nicht verraten, was du eigentlich studierst." "Ups, stimmt. Kunstgeschichte. Aber bevor wir jetzt ein gezwungenes Gespräch anfangen, lass uns die Stille der Nacht genießen." - ich sagte nichts weiter. Die U-Bahn brachte uns schnell an das Ziel und ihre Schweigsamkeit war angenehmer, als ich es zuerst erwartet hätte. Irgendwas schien mir daran zu gefallen, an ihr und dieser ruhigen, mysteriösen Aura.
Zuhause angekommen wurde es schnell konkret und wir verbrachten den Rest der kurzen Nacht damit, unsere physischen Hüllen genauer zu erforschen. Ich kam drei Mal und wir schliefen zu Musik von Grimes ein. Das hatte ich am Nachmittag während der Arbeit gehört und der HomePod spielt einfach das weiter, was zuletzt gespielt wurde. Was für ein intimer Einblick.
Der nächste Morgen, ein Samstagmorgen, schloss diese Nacht passend ab. Ich stand auf und bereitete uns Kaffee in meiner French-Press zu. "Hoffentlich bin ich eine bessere Sexmaus, als mein Kaffee vermuten lässt." Sie lachte. Die Zeit bis sie sich auf den Heimweg machte verging zügig, auch wenn wir uns nicht viel zu sagen hatten. Aber das war auch nicht nötig, da unsere Blicke schon genug sagtne. Wir wollten beide mehr voneinander, als in dieser kurzen Zeit möglich war.
"Es hat mir sehr gefallen. Meld' dich bei mir" sagte Yuna, während sie ihre Nummer auf einen Zettel in der Wohnküche schrieb - und so schnell war sie raus aus der Wohnung. Daneben hat sie eine kleine Maus gemalt, die mehr nach einer Ratte aussah, nett.
Party like being left on unread
Nun, ich musste sowieso erstmal arbeiten, bevor ich etwas anderes tun konnte. Samstags habe ich die meiste Ruhe, um die liegengebliebenen Aufgaben der Woche zu bearbeiten. Unter der Woche gibt es meistens so viele Meetings, dass ich kaum etwas anderes schaffe. Auch wenn andere Menschen ihren Samstag durchaus attraktiver gestalten, kann ich gut damit klarkommen. Vom Kaffee war auch noch etwas da, also konnte ich entspannt am Schreibtisch meine Arbeit verrichten. Ticket in "in progress". Und dann "in review". Und noch drei mal. Dieses Mal waren es nur ein paar Auswertungssachen. Nichts besonderes.
Aber das half auch nicht besonders, um mich von der Frage abzulenken, was mit Yuna nun zu tun sei. Wir hatten offensichtlich Gefallen aneinander. Aber in Gefühle wollte ich mich auch nicht wieder stürzen.
Zwei Tickets weiter bei lofi beats to relax/study to und fertig. Ich musste mich entscheiden. Und eigentlich war es keine Frage. Eigentlich war es klar, dass ich Yuna schreiben werde.
hey, gestern war schön. wollen wir uns morgen sehen? (vegane) eisdiele bei mir? love, $xy$
Um nicht zu ernst zu wirken, schickte ich noch einen Sticker der Bravo-Fotolovestory hinterher. Ach ja, sich immer schön ernst nehmen.
Nach der Arbeit war es erst spätnachmittags, also entschied ich mich, ein bisschen auf der YouTube-Startseite zu surfen. Ein Video-Essay sollte meine Gedanken an Yuna für die kommenden Stunden ablenken. Stattdessen bin ich bei Arte TRACKS hängengeblieben, was aber auch gepasst hatte. Ich musste sowieso einige der neuesten Folgen aufholen.
Aber so richtig wollte mich das auch nicht ablenken. Ich habe Massud angerufen, um ihn auf ein Bier zu treffen. Stattdessen hatte er eine Party organsiert und mich prompt am Telefon eingeladen, was mir auch recht sein sollte.
Wie immer, bin ich ein bisschen früher los, um mich vorher noch mit Massud zu unterhalten. Ich erzählte ihm kurz von der letzten Nacht.
Die Party war ganz nett und ich versuchte nicht allzu oft auf mein iPhone zu schauen. Irgendwann erwartete mich dann aber doch eine Antwort auf dem Lockscreen.
Du Sexmaus, morgen klingt super. Ich bin um 16:00 bei dir. Hoffentlich enttäuscht mich deine Lieblingseissorte nicht :) XX
Also gut, sie hatte es sich nicht noch einmal anders überlegt.
Die Party war aber noch lange nicht vorbei, also entschied ich mich, mal in der Küche nachzusehen. Massuds Küche war zwar nicht groß, aber die meisten Partygäste waren hier versammelt. Dort lief auch die Musik. EDM - Massuds Lieblingsgenre.
In der Ecke der Küche, die am weitesten vom Lautsprecher entfernt war, stand jemand, dessen Kleidungsstil ich am ehesten in eine Mischung aus Indieboy und Goth einordnen würde. Da er alleine mit seinem Bier war, ging ich mit meinem selbstgemischten Strawberry Daiquiri (der viel zu viel Rum hatte) zu ihm.
"Hey. Ich bin $xy$. Ich leiste dir ein bisschen Gesellschaft, wenn es dich nicht stört. Woher kennst du Massud?"
"Wir haben gemeinsam studiert. Ich bin Leo. Woher kennt ihr beiden euch?"
"Massud und ich haben zeitweise für das selbe Unternehmen gearbeitet. Unser Team hat sich damit beschäftigt, Werbeanzeigen effizienter zu schalten. Wir hatten eine tolle Zeit, aber ein bisschen schäme ich mich natürlich trotzdem noch, dass ich mal bei diesem Unternehmen gearbeitet habe."
"Ihr wart also dafür verantwortlich, dass die Werbung in den Insta-Storys immer passender wird?"
"Quasi."
"Böse, hihi."
"Und womit betreibst du deine Erwerbstätigkeit?"
"Ich arbeite in einem Blumenladen. Blumen riechen gut und sehen schön aus."
Ein bisschen war ich ja schon erstaunt von ihm. Seine Ästhetik war einfach die Antithese zum Blumenladen. Und dann wirkte er beinahe so wie die Cottagecore-Kategorie auf Pinterest. Aber ich wollte ihn nicht verärgern, also sparte ich mir eine Bemerkung dazu.
"Ach, wow, cool. Ich liebe es Blumen zu kaufen. Und einfach stehen zu haben. Irgendwie fühlen sich Blumen sehr wholesome an. Also, alles an ihnen. Magst du irgendwelche Blumen besonders?"
"Äh, gute Frage eigentlich. Gerbera sehen schön aus. Aber die riechen meist nicht besonders."
"Eine gute Wahl." sagte ich.
Inzwischen begann ich den hohen Alkoholgehalt meines Daiquiris dann doch zu spüren. Und zu spät sollte ich auch nicht daheim sein, da ich am nächsten Tag noch mein Date mit Yuna hatte. Also verabschiedete ich mich von Leo und gab ihm meine Handynummer. Es ist immer gut, jemanden aus einem Blumengeschäft zu kennen — und nett fand ich ihn auch.
Etwas später verabschiedete ich mich auch von Massud und machte mich auf den Heimweg mit der U-Bahn. Ich hatte etwas mehr getrunken, aber hatte es nicht weit. Wir wohnten beide quasi direkt neben unseren Stationen, was natürlich einige verhängnisvolle Nächte mit sich brachte.
It's heiß in the sunshine
Geweckt von den wärmenen Strahlen der Sonne, die in meine Wohnung scheinte, startete ich entspannt in diesen Sonntag. Etwas später als gewöhnlich, aber der Abend sollte lang werden. Es klingt spießig, aber sonntags verbringe ich gewöhnlich damit, in einer populären Wochenzeitung zu blättern. Meine Mutter taufte diese liebevoll "den Koffer", da ihr Format exorbitant groß ist. Eine gewisse ambivalente und einseitige Beziehung zu einem der Feuilletonisten trug sicher zu dieser Tradition bei. Zwischen der Wochenzeitung und einem Sachbuch — die des Suhrkamp-Verlags las ich sicher auch, weil man sich besonders schlau damit fühlte — lief belanglose Musik irgendeiner Spotify-Playlist. Oft machte ich meine eigenen Playlists, aber deren Hörpotenzial wollte ich dann auch wieder nicht als Hintergrundmusik vergeuden.
Das Lesen half gut dabei, zu unterdrücken, dass ich nichts über Yuna wusste, außer, wie sie schmeckte. Und, dass ich deswegen sogar nervös war. Es waren noch wenige Stunden bis zu unserem Eis-Date. Die Zeit überbrückte ich mit weiterem Lesen und einer kurzen Outfitwahl. Es war heiß, also war ein buntes Leinenhemd mit Fruchtprint die richtige Wahl. Sowieso, um die ganzen Hater*innen auszusortieren.
Mein Handy blinkte auf. Es war Yuna.
Bin auf dem Weg. Freu mich auf dich & 🍨 - Y
Ich wollte nicht zu spät sein, also machte ich mich auf den Weg. Da sie mir nicht verraten hatte, wo ihre Haltestelle ist, könnte sie quasi sogar um die Ecke wohnen. Und zu spät wollte ich auch nicht sein.
Bei der Eisdiele angekommen, sah ich sie auch schon aus Richtung der U-Bahn-Station kommen. Und irgendwas an ihr, als ich sie das erste Mal in Sonnenlicht unter diesem herrlichen blauen Himmel sah — ein Fest der Lichtstreuung, irgendwas hatte mich getroffen, dass ich einen Stoß durch meinen gesamten Körper fühlte. Ich glaube, ich fand sie cool. Und mir war bewusst, dass das Projektion war, denn wusste ich doch nichts über sie.
Sie gab mir zur Begrüßung einen Kuss. "Hi. $xy$. Du kannst hoffentlich viel Eis essen. Heute hab ich noch nichts gegessen. Weißt du, sowas ist für mich schon länger her." "Klar, Yuna. Du, ich, und so viel Eis wie wir mit meinen verbleibenden 25€ essen können." sagte ich, und summte dabei noch die Melodie von Eis auf Ex von Acht Eimer Hühnerherzen. Ich konnte kein Eis mehr essen, ohne daran denken zu müssen. Yuna fing an zu lachen. "Du hast nicht wirklich gerade Acht Eimer Hühnerherzen gesummt? Möchtest du etwa mein kleines, schwaches Hühnerherz stehlen? Mach nur weiter."
Ich lächelte selbstzufrieden zurück. Ab diesem Moment wusste ich, dass es noch spannend mit Yuna werden würde.
Wir nahmen beide ein Eis auf die Hand. Pistazieneis war meine Wahl und Yuna entschied sich für Mango-Basilikum. Die Wahl des Pistazieneis wurde mit einem positiv-urteilenden Blick garniert. "Hm. Pistazien."
In einem Park nicht weit von der Eisdiele und meiner Wohnung aßen wir unser Eis und vermischten Anschließend den verbleibenden Eisgeschmack mit unseren Zungen. Die Zeit vermischte sich mit dem Geruch ihres blumigen Parfüms, welches ein anderes war als bei unserem letzten Treffen.
"Deine Augen sehen wunderschön aus in der Sonne. Wie Bernstein, nur, dass es selbst vom Schatz umschlossen ist." Gott, das war cheesy. Wie kam ich nur darauf? Dafür gab es einen Stirnkuss, und den nahm ich natürlich gerne entgegen.
Wir unterhielten uns über viele Sachen: dass wir beide anscheinend ähnlich viel Minecraft gespielt haben müssen, welche Sitcom die lustigste ist (Community), und, dass die Musik, die wir hörten, viele Schnittpunkte bot aber auch sehr unterschiedlich ausdifferenziert war, wie uns eine Musik-Matching-App mitteilte.
Es war das perfekte erste zweite Date, dass es kälter wurde, merkten wir kaum. Mit einem Bedürfnis, welches wir uns nicht gegenseitig befriedigen konnten (Durst), begaben wir uns in meine Wohnung. Es gab nichts besseres als Sprudelwasser um Durst zu löschen, und tatsächlich besaß ich einen Sodastream für die gezielte Dosierung von Kohlensäure. Meine liebste Konzentration war besonders hoch, aber ich fragte Yuna lieber, wie stark sie es mochte.
"Wie hart magst du's? Äh. Stark, natürlich." Und wir konnten uns beide nicht vor Lachen retten. "Die Kohlensäure, meinte ich." "Stärker ist schon okay. Hart auch." Yuna schaute mich mit diesem Grinsen an.
Sie tauschte ihre Wortkargheit scheinbar mit Schlagfertigkeit. Immerhin hatte ich das Gefühl, dass ich mithalten kann. Noch war es zumindest so.
Während ich uns beiden zusätzlich noch einen Tee aufsetzte — was erfahrungsgemäß aber nie eine gute Idee vor Sex war — studierte Yuna meine Wohnung etwas genauer. Da wir uns nun etwas vertrauter waren, war es mir auch nicht mehr so unangenehm. Zwar konnte ich schon von mir selbst behaupten, dass meine Wohnung einigermaßen kuratiert war, aber auch nur aus dem Grund, weil ich mich bei Videomeetings zumeist viel bewege. Und es ginge ja auch nicht darum, Eindruck zu schinden, da mein persönlichster Lebensbereich nicht auch noch performativ aufgebohrt werden musste.
Wie fast schon aus Naturgemäßigkeit blieb sie einen Augenblick vor meinem Buchregal stehen. Sicher kaum repräsentativ, aber meinen goodreads-Account wollte ich auch nicht sofort offenbaren. Wobei das sicher keinen schlechten Eindruck bei ihr hinterlassen hätte.
"$xy$, das ist spannend. Du hast Harmange in deinem Regal stehen, aber auch Murakami?"
"Ja, widersprüchlich. Bei zeitgenössicher Literatur kommt man um Murakami schwer herum. Das Frauenbild in seinen Werken ist wirklich katastrophal, aber das wiegt jetzt hoffentlich nicht zu schwer in deiner Bewertung meiner Privatbibliothek. Welchen Tee magst du? Grünen oder schwarzen Tee?" Eine Aussage, als wären gleich alle aufgestanden und hätten applaudiert für meine scheußliche Reflektiertheit.
"Ich mag grünen Tee mehr. Aber mach, was du magst. I'm your guest."
"Okidoki. Grün it is. Gute Wahl."
"Yuna, was liest du eigentlich gerne?"
"Lieb, dass du fragst. Viel dark academia, würde ich sagen. Und Klassiker eben. Ich mag deine Auswahl auch, die ist so schön bunt irgendwie. Ein bisschen wie du."
Das war süß. Wir unterhielten uns bei Grüntee mit Pfirsicharoma noch eine ganze Weile über Literatur und Popkultur. Es war ein toller Anblick zu sehen, wie sie bei diesen Themen aufblühte. Und dass ich selber merkte, wie ich gerne ich solche Gespräche hatte. Auch wenn ich es manchmal etwas vermisste, dass wir uns mal nicht bei etwas einig waren. Denn ich mochte es auch gerne, aus Freude an der Debatte zu diskutieren. Nur vielleicht nicht bei einem zweiten Date. Außerdem konnte sich das ja auch noch ändern.
Den Abend schlossen wir mit einer Abwechslung von Sex und Kuschelpausen über die nächsten Stunden hinweg ab und schliefen uns umarmend ein. Das Umarmen, bei dem man sich gegenseitig anschauen kann, auch wenn man viel zu nah aneinander ist und sich nur noch unscharf sieht. Und den Atem spürt. Und so lange die Augen auf und wieder zumacht, mit der Hoffnung, den Blick des anderen zu fangen, bis tatsächlich jemand eingeschlafen ist. Das waren für mich immer die schönsten Momente mit jemandem, wo Zeit und Existenz außerhalb dem Selbst von beiden keine Rolle spielten. Zumindest so lange, bis der nächste Tag anbrach.
Geweckt wurde ich von dem Geräusch der elektrischen Kaffeemühle. Yuna wollte sich wohl für meine Kaffeekochkünste vom letzten Mal revanchieren. Und wecken wollte sie mich wohl auch. Und ich fand es unglaublich süß, dass sie einfach wie selbstverständlich Kaffee zubereitete. Ich legte meine Arme von hinten um ihren Bauch und gab ihr einen Gutenmorgenkuss auf den Hals. Den sie in einer sehr unergnomischen, aber durchaus attraktiven Pose erwiderte.
Während sie den Kaffee zubereitete und sogar Hafermilchschaum machte — was ich mir selbst nur selten gönne — checkte ich die Notifications auf meinem iPhone. Bis auf das Zusammenstellen von Musik für den Abend waren wir beide nur wenig an unseren Handys. Massud und eine andere Freundin hatten mir geschrieben, um sich nach den Verlauf meines Dates zu erkundigen, da es dann doch besonders genug war, dass ein zweites Treffen nach einem quasi-hookup zustande kam. Auch Leo hatte sich in der Zwischenzeit gemeldet.
Kaffee, Kippe und Kornblumen
Den Rest des Morgens verbrachten wir damit, den Kaffee leerzutrinken. Ganz intuitiv nahmen wir das Gespräch vom Vorabend wieder auf und verbrachten so eine Stunde oder zwei mit pseudo-intellektuellem Gerede. Da Yuna am Nachmittag noch eine Hausarbeit fertigstellen musste, brachte ich sie runter und wir rauchten noch gemeinsam eine Zigarette vor der Tür.
"$xy$, meine Woche wird ein bisschen stressig sein wegen der Hausarbeit, aber wir können uns hoffentlich oft genug sehen. Es ist wirklich schön mit dir."
"Liebend gerne. Bei mir ist auch viel los, aber wir finden bestimmt Zeit. Ich bin morgen bis zum Abend in der Uni. Soll ich dich bei deinem Gebäude abholen und wir gehen irgendo was essen?" Das Gebäude der Kunstgeschichte lag quasi auf dem Weg zur Gegend, in der viele Restaurants angesiedelt waren.
"Das klingt schön. Um halb sieben bei mir am Gebäude? Ich schick dir nochmal die Adresse."
"Cool. Quasi machen wir es genau andersherum: beim dritten Date gehen wir essen und danach müssen wir uns dann nur noch auf Tinder matchen." okay, war jetzt nicht der beste Witz. Und etwas unsicher kam er mir auch vor.
Aber sie lächelte nur als wüsste sie um meine Unsicherheit, küsste mich zum Abschied und ging zur U-Bahn-Station.
Zurück in meiner Wohnung wollte ich Leo antworten. Er hatte mir scheinbar gestern gegen zwei Uhr nachts geschrieben.
Yo $xy$! das ist sehr spontan, aber wollen wir am Abend mit Massud in eine Bar gehen?
Ich hatte für den Rest des Tages sowieso nichts vor außer ein paar Slides durchzuarbeiten und wollte Leo etwas genauer kennenlernen — so wie er mich wohl auch. Mein Gehirn funktionierte in der Hinsicht besonders, als dass ich machmal, wenn ich mich konzentrieren wollte, immer besonders "anstrengende" Musik hören musste. Die lofi beats wichen dann für breakcore oder hyperpop. Damit war ich dann aber auch meistens in einem Flow gefangen, wo 300% meiner üblichen Leistung normal waren. Das Internet nannte sowas wohl Aufmerksamkeitsprobleme. Und da es half, hinterfragte ich es auch erstmal nicht weiter.
Nachdem ich die Slides fertig hatte, ging ich meinen Einkauf für die Woche machen. Mein Gefühl sagte mir, dass ich in den nächsten Tagen zwar wenig kochen würde, aber viel hatte ich nicht mehr da. Auch wenn ich meistens Zutaten kaufte, die sich lange halten, wollte ich mir heute selbst ein Pesto zubereiten, da ich mittlerweile so ziemlich jedes Pesto aus der Dose schon am Geschmack der Marke zuordnen konnte.
Also gab es Fusilli mit Pesto. Danach machte ich mich auf den Weg.
Die Google Maps-Seite von der Bar, die Leo mir geschickt hatte, hinterließ einen Eindruck zwischen alternativ und yuppie. Ich wusste auch nicht, wie man schaffen konnte, diese zwei Beinahegegensätze zu kombinieren, aber es funktionierte scheinbar und mittlerweile wirkten viele teurere Bars so. Heruntergekommen und trotzdem kostete kein Cocktail unter 12€.
Ich brauchte ungefähr eine halbe Stunde zur Bar. Wie gewöhnlich hatte ich ein Buch dabei, was besonders spätabends beim ausgedünnten U-Bahn-Takt die Wartezeit erträglicher machte.
Meine Erwartungen wurden zumindest von der Musik übertroffen. Das sollte mich aber eigentlich auch nicht überraschen, da ich selbst ein closeted-indieboy war. Leo hat sie mit Sicherheit ausgesucht.
Massud und er saßen in einer etwas abgelegeneren Ecke, aber es war überall reichlich Betrieb. Was mich nicht störte, da meine Interaktionen in den letzten Tagen sehr 1:1-bezogen waren und die Abwechslung angenehm war.
"Na ihr beiden. Seid ihr schon lange da?"
"Nee. Quasi eben erst gekommen. Wenn du dir was holen möchtest, musst du an die Bar gehen. Gibt keinen Platzservice."
Also bestellte ich mir einen Cuba Libre. Alles andere hörte sich zwar fancy an, kostete aber noch mehr.
In Gesellschaft meines Longdrinks begab ich mich zurück und lauschte dem Gespräch von Massud und Leo. So konnte ich erfahren, dass Leo scheinbar relativ neu zugezogen war. Er erzählte, dass er zuvor verschiedenste Dinge als Studium ausprobiert hatte. Davon war ihm das meiste aber wohl zu unpraktisch. Deswegen entschied er sich dazu, eine Schreinerlehre anzufangen. Also arbeitete er nur im Blumengeschäft, um die Zeit bis dahin zu überbrücken.
Im Laufe des Abends erzählte Leo von seinem Heimatort. Er offenbarte uns, dass er dort eine längere Beziehung geführt hatte. Als diese vorbei war und ihn auch das Studium nicht mehr dort hielt, hatte er sich mit seiner Bücherkiste und einer erschütternd winzigen Auswahl an T-Shirts auf den Weg in die große Stadt gemacht.
Sein Ex-Freund und er lernten sich im ersten Semester kennen, als Leo frisch nach der Schule mit dem Studium anfing. Leo nannte ihn immer nur Mo. Er und Mo hatten einige Module zusammen. Aber sie studierten beide unterschiedliche Dinge. Und doch sahen sie sich oft genug, dass Mo ihn dann irgendwann angesprochen hatte. Leo bezeichnete das als "typisches Studentending", und dass er mehr durch und mit Mo gelernt hätte als in den Seminaren.
Massud und ich merkten ihm aber an, dass er nicht zu weit ausholen wollte. Die Sache mit Mo war also wirklich nur kurz vor seinem Umzug zu Ende.
Trotzdem erzählte uns Leo ein paar Details über seine Beziehung mit Mo. Und das ging den ganzen Abend noch so, bis wir uns gegen 2 in der Nacht verabschiedeten. Und weil keine Bahn mehr unterwegs war, musste ich laufen. Hat auch nur eine Stunde gedauert, aber immerhin besser als Fahrdienstleistungen von Großkonzernen in Anspruch zu nehmen.